Seltene Krankheiten belasten nicht nur den Körper, sondern auch die Psyche. Viele Betroffene erleben Ängste,
Depressionen und soziale Isolation. Resilienz – die psychische Widerstandskraft – hilft, trotz Krankheit Lebensqualität zu bewahren.
Psychische Belastungen bei seltenen Krankheiten
Die lange Diagnose-Odyssee
Bis eine seltene Krankheit erkannt wird, vergehen im Schnitt 5–7 Jahre. In dieser Zeit erleben viele Betroffene:
- Verunsicherung: Beschwerden werden nicht ernst genommen oder als psychosomatisch abgetan.
- Fehldiagnosen: Mehrfache Behandlungen ohne Erfolg führen zu Frustration.
- Erschöpfung: Ständige Arzttermine und Untersuchungen kosten Kraft.
- Familiäre Konflikte: Angehörige zweifeln am Leiden oder sind selbst überfordert.
Leben mit Unsicherheit
Seltene Erkrankungen verlaufen oft unvorhersehbar. Fragen wie „Werde ich bald Hilfsmittel brauchen?“ oder „Kann ich meine beruflichen Pläne umsetzen?“
erzeugen dauerhaften Stress. Diese Unsicherheit ist für die Psyche besonders belastend, da Menschen Stabilität brauchen.
Depression und Hoffnungslosigkeit
Chronische Schmerzen und Fatigue führen zu einem hohen Risiko für Depressionen. Die Gründe sind vielfältig:
- Biologisch: Schmerzen und Entzündungen beeinflussen das Nervensystem.
- Psychologisch: Dauerhafte Einschränkungen erzeugen Gefühle von Wertlosigkeit.
- Sozial: Isolation und fehlende Anerkennung verstärken depressive Muster.
Soziale Isolation
Viele seltene Krankheiten sind „unsichtbar“. Das Umfeld erkennt nicht, wie schwer Betroffene eingeschränkt sind. Folgen sind:
- Rückzug aus Kontakten („Ich will mich nicht immer erklären.“)
- Freundschaften zerbrechen durch häufige Absagen.
- Partnerschaften leiden durch neue Rollen (z. B. Pflege statt Gleichberechtigung).
- Erhöhtes Risiko für Depressionen und Angststörungen
- Soziale Isolation durch Missverständnisse
- Chronische Schmerzen als psychische Belastungsverstärker
- Zukunftsangst durch unklare Prognosen
- Verlust von Rollen im Beruf oder in der Familie
Resilienz – psychische Widerstandskraft verstehen
Resilienz bedeutet nicht, unverwundbar zu sein. Es geht darum, trotz Krankheit handlungsfähig zu bleiben. Sie lässt sich trainieren und stärken.
Die 7 Schlüsselfaktoren der Resilienz
- Akzeptanz: Realität annehmen, ohne aufzugeben.
- Optimismus: Hoffnung bewahren, auch bei Rückschlägen.
- Selbstwirksamkeit: Vertrauen, selbst Einfluss zu haben.
- Problemlösefähigkeit: Strategien entwickeln, statt in Ohnmacht zu verharren.
- Soziale Unterstützung: Netzwerke aktiv nutzen.
- Struktur und Routinen: Sicherheit durch feste Abläufe schaffen.
- Flexibilität: Pläne anpassen, wenn Grenzen erreicht sind.
Praktische Wege zur Stärkung der Resilienz
Akzeptanz statt Dauer-Kampf
Viele Betroffene fühlen sich schuldig, „nicht mehr leisten zu können“. Akzeptanz bedeutet, Grenzen zu erkennen und Energie gezielt einzusetzen.
In der Schweiz berichten Patientinnen mit seltenen Stoffwechselstörungen, dass die Akzeptanz einer Spezialdiät zwar anstrengend, aber gleichzeitig befreiend war.
Kleine Schritte und realistische Ziele
- Statt: „Ich will wieder 100 % arbeiten“ → Ziel: „Ich möchte an drei Tagen 2 Stunden konzentriert arbeiten.“
- Statt: „Ich will so sportlich sein wie früher“ → Ziel: „Ich gehe 2x pro Woche 15 Minuten spazieren.“
Achtsamkeit und Selbstfürsorge
- Meditation: Apps wie „7Mind“ oder „Headspace“ unterstützen auch in der Schweiz.
- Körperwahrnehmung: Yoga oder Muskelentspannung lindern Stress und Schmerzen.
- Tagebuch: Positive Erlebnisse festhalten, um die Wahrnehmung zu stärken.
- Kreativität: Malen, Musik oder Handarbeiten helfen, Emotionen zu verarbeiten.
Soziale Kontakte pflegen
Auch kleine Gesten – eine Nachricht, ein kurzer Anruf – stärken das Gefühl von Verbundenheit. Klare Absprachen („Ich komme für eine Stunde“) verhindern Überlastung.
Professionelle Hilfe annehmen
Psychotherapie, Gruppentherapien und Coaching sind zentrale Ressourcen. Sie sind kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke.
- Realistische Tagesziele setzen
- Rituale schaffen (z. B. Abendroutine)
- Unterstützungsangebote annehmen
- Austausch mit anderen Betroffenen suchen
- Psychotherapie frühzeitig nutzen
- Kleine Belohnungen einbauen
Psychologische Unterstützung in der Schweiz
Psychotherapie
Seit 2022 wird psychologische Psychotherapie von der Grundversicherung übernommen, wenn eine ärztliche Anordnung vorliegt.
Gerade bei seltenen Krankheiten, die mit Depression oder Angst einhergehen, ist dies ein wichtiger Fortschritt.
Selbsthilfegruppen
Regionale Gruppen bieten Austausch und das Gefühl, nicht allein zu sein. Viele Betroffene berichten, dass sie dort erstmals Verständnis erfahren.
Patientenorganisationen
- ProRaris: Dachorganisation für seltene Krankheiten in der Schweiz
- Selbsthilfe Schweiz: Vermittelt regionale Gruppen
- Eurordis: Europäisches Netzwerk mit Studienzugang
Klinische Unterstützung
Universitätsspitäler wie Zürich, Basel oder Lausanne bieten interdisziplinäre Sprechstunden, in denen körperliche und psychische Aspekte kombiniert werden.
Resilienz im Familien- und Berufsleben
Familie
- Offene Kommunikation: Bedürfnisse klar ansprechen.
- Entlastungsangebote: Kurzzeitpflege oder Familienhilfe in Anspruch nehmen.
- Partnerschaft pflegen: Gemeinsame Rituale erhalten, trotz Krankheit.
Beruf
- Arbeitsplatz-Anpassungen: Teilzeit, flexible Arbeitszeiten, Homeoffice.
- IV-Beratung: Leistungen wie Umschulung oder Arbeitsplatzausrüstung beantragen.
- Rechtlicher Rahmen: Arbeitgeber müssen gesundheitliche Einschränkungen berücksichtigen.
FAQ: Häufige Fragen
- Warum ist die psychische Belastung bei seltenen Krankheiten besonders hoch?
- Weil Betroffene lange auf eine Diagnose warten, kaum Therapien finden und oft unverstanden bleiben – medizinisch wie sozial.
- Hilft Psychotherapie auch, wenn die Krankheit nicht heilbar ist?
- Ja. Psychotherapie verbessert den Umgang mit Ängsten, Depressionen und Krisen und steigert die Lebensqualität.
- Wie finde ich Resilienz, wenn alles belastend wirkt?
- Resilienz entsteht schrittweise. Kleine, erreichbare Ziele, Achtsamkeit und soziale Unterstützung sind entscheidend.
- Wo finde ich Unterstützung in der Schweiz?
- Bei ProRaris, Selbsthilfegruppen, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten oder in spezialisierten Sprechstunden der Universitätsspitäler.
Fazit
Seltene Krankheiten sind nicht nur eine medizinische, sondern auch eine psychische Herausforderung. Ängste, Unsicherheit und Depression sind häufige Begleiter.
Doch mit gezielter Resilienz, professioneller Unterstützung und einem stabilen Umfeld lässt sich die seelische Belastung reduzieren.
Dr. med. Jens Westphal und Team begleiten Patientinnen und Patienten ganzheitlich – medizinisch, psychisch und sozial.