Eine seltene Krankheit betrifft nie nur die Patientin oder den Patienten selbst. Angehörige übernehmen Pflege, Organisation,
emotionale Begleitung – und sind dabei oft stark belastet. Dieser Artikel zeigt, welche Herausforderungen entstehen,
welche Hilfen die Schweiz bietet und wie Angehörige ihre eigene Gesundheit schützen können.
Die Belastung von Angehörigen verstehen
Emotionale Dimension
Angehörige erleben oft denselben emotionalen Prozess wie Patientinnen und Patienten: von der Unsicherheit bis zur Langzeitbewältigung.
Typische Gefühle sind Angst vor der Zukunft, Schuldgefühle, wenn man sich überfordert fühlt,
sowie Trauer über den Verlust von Normalität. Dazu kommt Hilflosigkeit, wenn Therapien nicht wirken.
Praktische Dimension
Der Alltag wird häufig von organisatorischen Aufgaben bestimmt:
- Pflege: Hilfe bei Körperpflege, Medikamentengabe, Mobilität.
- Terminorganisation: Arzt- und Therapietermine oft in verschiedenen Zentren.
- Administration: Anträge bei Krankenkassen, IV oder Sozialdiensten.
Finanzielle Dimension
Eine seltene Krankheit bedeutet fast immer auch finanzielle Belastungen:
- Reduziertes Arbeitspensum, um Betreuung zu ermöglichen.
- Zusatzkosten für Medikamente, Hilfsmittel oder Umbauten.
- Unsicherheit durch unklare Zuständigkeiten von Kassen und IV.
Soziale Dimension
Viele Angehörige ziehen sich aus Freundschaften zurück, weil Pflege und Termine den Alltag dominieren.
Partnerschaften verändern sich, Geschwister fühlen sich manchmal vernachlässigt.
Der soziale Rückzug erhöht das Risiko für Isolation und psychische Probleme.
- Emotionale Belastung: Angst, Trauer, Schuldgefühle
- Körperliche Belastung: Pflege, Schlafmangel, Erschöpfung
- Soziale Belastung: Rückzug, Partnerschaftskonflikte
- Finanzielle Belastung: Weniger Einkommen, höhere Ausgaben
Rechtliche und soziale Unterstützung in der Schweiz
Krankenversicherung (OKP)
Die Grundversicherung übernimmt medizinisch notwendige Therapien, Medikamente und Hilfsmittel.
Auch Psychotherapie wird übernommen, wenn sie ärztlich verordnet ist. Bei Off-Label-Medikamenten ist eine individuelle Kostengutsprache nötig.
Invalidenversicherung (IV)
Die IV stellt Hilfsmittel bereit, unterstützt berufliche Eingliederung und gewährt bei Bedarf Renten.
Kinder mit seltenen Erkrankungen haben Anspruch auf Hilfsmittel und Sonderschulung.
Indirekt entlastet die IV damit auch Angehörige.
Ergänzungsleistungen & Sozialhilfe
Reicht Einkommen und Rente nicht, können Ergänzungsleistungen helfen.
Gemeinden bieten Beratung und oft Unterstützung bei Anträgen.
Entlastungsangebote
- Spitex: Pflege und Unterstützung zu Hause.
- Entlastungsdienste: Stundenweise Betreuung oder Kurzzeitpflege.
- Tagesstrukturen: Entlastung für Angehörige, besonders bei Kindern.
Recht auf Information
Angehörige haben ein Recht auf Einbindung in den Behandlungsprozess –
sofern die Patientin oder der Patient einverstanden ist. Transparente Kommunikation erleichtert die Zusammenarbeit.
Strategien für Angehörige: Selbstfürsorge ist entscheidend
Eigene Grenzen erkennen
Wer dauerhaft über die eigenen Kräfte hinausgeht, riskiert Burnout und gesundheitliche Probleme.
Warnsignale sind Schlafstörungen, Reizbarkeit oder Konzentrationsschwäche. Pausen sollten eingeplant werden, bevor die Belastung zu hoch ist.
Unterstützung aktiv annehmen
Viele Angehörige scheuen sich, Hilfe einzufordern. Doch Entlastung ist entscheidend:
- Freunde oder Familie konkret um Hilfe bitten („Kannst Du mittwochs einkaufen?“).
- Spitex oder Entlastungsdienste frühzeitig einbeziehen.
- Netzwerke von Angehörigenorganisationen nutzen.
Psychische Stabilität pflegen
- Selbsthilfegruppen: Austausch schafft Verständnis.
- Psychotherapie: Wird von der Grundversicherung übernommen.
- Achtsamkeit & Entspannung: Meditation, Spaziergänge, Yoga.
Beziehung und Familie stärken
Partnerschaften verändern sich durch Pflegeaufgaben.
Offene Gespräche über Rollen helfen, Konflikte zu vermeiden.
Geschwister sollten bewusst einbezogen werden. Gemeinsame Rituale wie ein Familienabend erhalten Normalität.
- Eigene Grenzen akzeptieren
- Unterstützung aktiv einfordern
- Regelmässige Pausen für sich selbst
- Psychologische Hilfe frühzeitig nutzen
- Netzwerke & Organisationen einbinden
- Familienrituale und Partnerschaft pflegen
Netzwerke und Anlaufstellen in der Schweiz
- ProRaris: Beratung und Vernetzung für Betroffene und Angehörige.
- Selbsthilfe Schweiz: Vermittlung von Gruppen speziell für Angehörige.
- Spitex: Professionelle Pflege und Entlastung zu Hause.
- Entlastungsdienste Schweiz: Flexible Betreuung und Kurzzeitpflege.
- Sozialdienste der Gemeinden: Beratung zu finanziellen Leistungen.
- Universitätsspitäler: Psycho-soziale Begleitung auch für Angehörige.
FAQ: Häufige Fragen von Angehörigen
- Habe ich Anspruch auf Unterstützung durch die Krankenkasse?
- Ja. Wenn Leistungen ärztlich verordnet sind, übernimmt die Kasse z. B. Spitex-Einsätze oder Psychotherapie.
- Wie kann ich Beruf und Pflege vereinbaren?
- Viele Arbeitgeber bieten Teilzeit, Homeoffice oder flexible Modelle.
Zusätzlich unterstützt die IV bei Umschulungen oder Arbeitsplatzanpassungen. - Wo finde ich psychologische Unterstützung?
- Psychotherapie wird von der Grundversicherung übernommen, wenn ärztlich verordnet – auch für Angehörige.
- Gibt es finanzielle Hilfen?
- Ja. IV-Leistungen, Ergänzungsleistungen und kantonale Sozialdienste können unterstützen.
- Wie gehe ich mit Schuldgefühlen um?
- Schuldgefühle sind normal. Wichtig ist, die eigenen Grenzen zu akzeptieren – Selbstfürsorge liegt auch im Interesse der Betroffenen.
Fazit
Angehörige sind tragende Säulen im Leben von Menschen mit seltenen Krankheiten.
Doch sie dürfen ihre eigene Gesundheit nicht vernachlässigen.
In der Schweiz stehen zahlreiche Hilfen bereit – von Spitex über IV-Leistungen bis zu Selbsthilfegruppen.
Entscheidend ist, Unterstützung aktiv einzufordern und eigene Pausen zuzulassen.
Nur so können Angehörige langfristig die stabile Stütze sein, die Betroffene brauchen.
Dr. med. Jens Westphal und sein Team begleiten Patientinnen und Patienten – und deren Angehörige –
mit medizinischem Fachwissen, psychosozialer Beratung und einem Blick für die gesamte Lebenssituation.