Ein Kinderwunsch ist für viele Menschen ein zentraler Teil des Lebens.
Doch wenn eine seltene Krankheit vorliegt, entstehen besondere Fragen:
Welche medizinischen Risiken gibt es? Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit einer Vererbung?
Welche rechtlichen Möglichkeiten bietet die Schweiz – und wo stossen Paare an Grenzen?
Dieser umfassende Leitfaden beleuchtet die medizinischen, psychischen, rechtlichen und sozialen Dimensionen
und zeigt konkrete Wege, wie Paare trotz einer seltenen Krankheit ihren Kinderwunsch verantwortungsvoll planen können.
Kinderwunsch bei seltenen Krankheiten: Warum besondere Fragen entstehen
Seltene Krankheiten betreffen in der Schweiz rund 500’000 Menschen.
Viele davon sind genetisch bedingt, andere entstehen durch Autoimmunprozesse, Stoffwechselstörungen oder seltene Tumorerkrankungen.
Der Kinderwunsch ist bei Betroffenen genauso präsent wie in der Allgemeinbevölkerung –
doch er ist oft mit zusätzlicher Unsicherheit und hohen emotionalen Belastungen verbunden.
Im Kern ergeben sich drei grosse Themenfelder:
- Vererbung: Wenn eine Krankheit genetisch bedingt ist, besteht das Risiko, dass Kinder ebenfalls betroffen sind.
- Körperliche Belastung: Schwangerschaft bedeutet körperlichen Stress, der bei chronischen seltenen Krankheiten zusätzliche Risiken birgt.
- Rechtliche Grenzen: In der Schweiz sind nicht alle reproduktionsmedizinischen Möglichkeiten erlaubt, z. B. ist die Eizellspende untersagt.
- Vererbbarkeit genetischer Krankheiten
- Gesundheitsrisiken für die Mutter während der Schwangerschaft
- Medikamenteneinnahme und mögliche Risiken fürs Kind
- Rechtliche Einschränkungen in der Schweiz (z. B. Eizellspende)
- Psychische Belastungen durch Unsicherheit und Druck
Genetische Beratung: Der wichtigste erste Schritt
Wenn eine genetisch bedingte seltene Krankheit bekannt ist oder ein Verdacht besteht,
ist eine genetische Beratung in der Schweiz der erste zentrale Schritt.
Sie hilft, Risiken einzuschätzen und mögliche Optionen zu besprechen.
Durchgeführt wird sie an spezialisierten Zentren, meist an den Universitätsspitälern.
Ablauf einer genetischen Beratung
Eine genetische Beratung umfasst in der Regel mehrere Sitzungen:
- Erhebung der Familiengeschichte: Stammbaum über mindestens drei Generationen, Suche nach Mustern.
- Genetische Tests: Falls indiziert, werden Bluttests durchgeführt, um Mutationen nachzuweisen.
- Risikoeinschätzung: Berechnung der Wahrscheinlichkeit, dass Kinder betroffen sein könnten.
- Optionen: Besprechung reproduktionsmedizinischer Möglichkeiten (z. B. PID, IVF, Samenspende).
- Psychosoziale Begleitung: Aufarbeitung von Ängsten und Entscheidungsdruck.
Kostenübernahme
In der Schweiz übernehmen Krankenkassen genetische Beratungen und Tests in der Regel,
wenn eine klare medizinische Indikation besteht. Wichtig: Die Abklärung muss meist von einer Fachärztin oder einem Facharzt verordnet werden.
- Universitätsspital Zürich – Institut für Medizinische Genetik
- Universitätsspital Basel – Abteilung für Humangenetik
- Inselspital Bern – Institut für Medizinische Genetik
- CHUV Lausanne – Service de Génétique Médicale
- HUG Genf – Unité de Génétique Médicale
Medizinische Risiken bei Schwangerschaft
Für Frauen mit seltenen Krankheiten stellt sich die Frage: Ist eine Schwangerschaft medizinisch überhaupt möglich und sicher?
Dies hängt von der Art der Erkrankung, ihrem Verlauf und der bisherigen Therapie ab.
1. Körperliche Belastung
Schwangerschaft bedeutet zusätzliche Kreislauf-, Hormon- und Stoffwechselbelastung.
Bei seltenen Herz-, Lungen- oder Stoffwechselkrankheiten kann dies zu ernsthaften Risiken führen.
Ein Beispiel sind seltene Herzrhythmusstörungen oder pulmonale Hypertonie, die in der Schwangerschaft lebensgefährlich sein können.
2. Medikamente
Viele Patientinnen nehmen Medikamente ein, die nicht schwangerschaftsverträglich sind.
Hier muss vor einer Schwangerschaft eine Umstellung erfolgen.
Beispiele sind Immunsuppressiva, die Fehlbildungen verursachen können, oder bestimmte Enzymersatztherapien, die angepasst werden müssen.
3. Geburtskomplikationen
Bei seltenen Muskel- oder Knochenerkrankungen kann eine natürliche Geburt unmöglich sein.
In solchen Fällen wird meist ein geplanter Kaiserschnitt empfohlen.
Auch hier braucht es interdisziplinäre Betreuung durch Gynäkologinnen, Anästhesistinnen und Fachärzte.
4. Risiken fürs Kind
Neben der genetischen Belastung gibt es zusätzliche Risiken:
Frühgeburten, Wachstumsverzögerungen und Komplikationen bei der Geburt sind bei seltenen Krankheiten häufiger.
Daher sind engmaschige Kontrollen in spezialisierten Zentren notwendig.
- Kardiovaskuläre Belastung bei seltenen Herzkrankheiten
- Atemprobleme bei Lungenerkrankungen
- Unverträgliche Medikamente (z. B. Immunsuppressiva)
- Erhöhtes Risiko für Frühgeburten
- Geburtskomplikationen bei Muskel- und Knochenerkrankungen
Reproduktionsmedizinische Möglichkeiten
Die moderne Reproduktionsmedizin eröffnet Paaren mit seltenen Krankheiten mehrere Wege,
die Risiken zu minimieren und trotzdem Kinder zu bekommen. Die Schweiz hat dabei klare gesetzliche Regeln.
In-vitro-Fertilisation (IVF)
IVF ermöglicht es, Eizellen ausserhalb des Körpers zu befruchten und anschliessend einzusetzen.
In Kombination mit genetischer Diagnostik können Risiken reduziert werden.
Allerdings ist IVF mit hoher körperlicher und emotionaler Belastung verbunden.
Präimplantationsdiagnostik (PID)
Seit 2017 erlaubt die Schweiz PID bei hohem Risiko für schwere genetische Erkrankungen.
Dabei werden Embryonen vor dem Transfer untersucht, und nur nicht betroffene Embryonen werden eingesetzt.
PID ist jedoch teuer, emotional belastend und streng reguliert.
Pränataldiagnostik
Während der Schwangerschaft können Tests wie NIPT (nicht-invasiver Pränataltest), Chorionzottenbiopsie oder Amniozentese Hinweise geben.
Diese Verfahren helfen, früh Entscheidungen zu treffen, stellen Paare aber oft vor schwierige ethische Fragen.
Samenspende
In der Schweiz ist Samenspende legal und unterliegt klaren Regulierungen.
Kinder aus Samenspende haben ab 18 das Recht, die Identität des biologischen Vaters zu erfahren.
Eizellspende
Die Eizellspende ist in der Schweiz verboten.
Viele Paare reisen daher ins Ausland, z. B. nach Spanien oder Tschechien.
Dies wirft jedoch rechtliche Fragen auf, etwa zur späteren Anerkennung und zu ethischen Konflikten.
- IVF mit genetischer Abklärung
- Präimplantationsdiagnostik (PID) bei hohem Risiko
- Pränataldiagnostik (NIPT, Chorionzottenbiopsie, Amniozentese)
- Samenspende (in der Schweiz erlaubt)
- Eizellspende (nur im Ausland möglich)
Psychische und emotionale Aspekte
Kinderwunsch in Verbindung mit einer seltenen Krankheit ist eine enorme psychische Belastung.
Paare müssen mit Ängsten, Schuldgefühlen und teils schwierigen Entscheidungen umgehen.
Typische Themen sind:
- Angst, das Kind könnte die Krankheit erben
- Zweifel an der eigenen körperlichen Belastbarkeit
- Belastung durch invasive Untersuchungen oder PID
- Druck durch Familie oder Gesellschaft
- Schuldgefühle, wenn reproduktionsmedizinische Massnahmen fehlschlagen
Psychotherapie und Paarberatung sind in dieser Phase besonders wertvoll.
Sie helfen, die Kommunikation zu verbessern, Entscheidungen gemeinsam zu treffen und emotionale Stabilität zu finden.
- Psychotherapie (von der Grundversicherung übernommen, wenn ärztlich verordnet)
- Paarberatung für Kommunikation und Entlastung
- Selbsthilfegruppen mit anderen Betroffenen
- Beratung durch Patientennetzwerke (z. B. ProRaris)
Rechtliche Rahmenbedingungen in der Schweiz
Die Schweiz hat eines der strengsten Fortpflanzungsmedizingesetze Europas.
Es soll Missbrauch verhindern, bedeutet für Betroffene aber auch Einschränkungen.
Wichtige Eckpunkte:
- PID: erlaubt seit 2017, aber nur bei hohem Risiko und unter strenger Kontrolle
- Samenspende: erlaubt, Kinder haben Recht auf Auskunft mit 18
- Eizellspende: weiterhin verboten
- Embryonenselektion: streng reglementiert
Paare, die ins Ausland gehen, sollten sich bewusst sein, dass rechtliche Fragen in der Schweiz anders geregelt sind.
Eine vorgängige Beratung ist unbedingt empfehlenswert.
FAQ: Häufige Fragen
- Übernimmt die Krankenkasse genetische Beratung?
- Ja, wenn eine medizinische Indikation vorliegt. Eine Zuweisung durch eine Fachärztin oder einen Facharzt ist meist erforderlich.
- Ist PID in der Schweiz erlaubt?
- Ja, seit 2017, aber nur bei hohem Risiko für eine schwere genetische Krankheit. Der Zugang ist streng reguliert.
- Können Medikamente während der Schwangerschaft weiter eingenommen werden?
- Das hängt vom Medikament ab. Viele Wirkstoffe müssen angepasst oder ersetzt werden. Eine enge ärztliche Begleitung ist notwendig.
- Was tun, wenn Eizellspende in der Schweiz verboten ist?
- Viele Paare gehen ins Ausland. Dabei sollten rechtliche und ethische Folgen in der Schweiz sorgfältig geprüft werden.
- Wie finde ich psychologische Unterstützung?
- Über Hausärztinnen oder Fachärzte, aber auch über Patientenorganisationen wie ProRaris oder Selbsthilfegruppen.
Fazit
Ein Kinderwunsch trotz seltener Krankheit ist mit vielen Fragen und Herausforderungen verbunden.
Doch die Kombination aus medizinischer Expertise, genetischer Beratung, reproduktionsmedizinischen Optionen
und psychischer Unterstützung eröffnet realistische Chancen auf Familiengründung.
Wichtig ist, dass Paare diesen Weg informiert, begleitet und gut vorbereitet gehen.
Dr. med. Jens Westphal und sein Team unterstützen Betroffene ganzheitlich – medizinisch, psychosozial und organisatorisch –
damit der Kinderwunsch verantwortungsvoll und mit realistischen Perspektiven umgesetzt werden kann.