Rund 500’000 Menschen in der Schweiz leben mit einer seltenen Krankheit.
Für Ärztinnen und Ärzte bedeutet das: viele Krankheitsbilder sehen sie vielleicht nur einmal im Berufsleben.
Weiterbildung ist der Schlüssel, um Symptome zu erkennen, Diagnosen zu stellen und Patientinnen und Patienten optimal zu versorgen.
Warum seltene Krankheiten besondere ärztliche Kompetenz erfordern
Es gibt über 7’000 seltene Krankheiten, viele davon sind multisystemisch und komplex.
Symptome wie chronische Müdigkeit, Schmerzen oder Entwicklungsstörungen wirken unspezifisch und werden oft fehldiagnostiziert.
Für Patientinnen und Patienten bedeutet dies oft Jahre voller Unsicherheit und Fehlbehandlungen.
Frühe Diagnosen sind entscheidend: Manche Therapien wie Enzym-Ersatztherapien wirken nur, wenn sie rechtzeitig beginnen.
Ärztliche Weiterbildung hilft, Warnsignale zu erkennen und eine gezielte Abklärung einzuleiten.
Praxisbeispiel: Ein Kind mit häufigen Infekten und Gedeihstörungen erhält erst nach sechs Jahren die Diagnose Immundefizienz.
Eine besser geschulte Hausärztin hätte die genetische Abklärung früher eingeleitet.
Typische Hürden in der Versorgung
- Durchschnittlich 5–7 Jahre bis zur Diagnose
- Fehldiagnosen, z. B. als psychosomatische Erkrankung
- Unsichtbare Symptome werden nicht ernst genommen
- Wenig spezialisierte Zentren in der Schweiz
Ärztliche Weiterbildung in der Schweiz – aktueller Stand
Alle Ärztinnen und Ärzte sind verpflichtet, jährlich Fortbildungspunkte nachzuweisen (FMH-Fortbildungsordnung).
Seltene Krankheiten sind jedoch bisher kein Pflichtinhalt.
Ob und wie sie thematisiert werden, hängt von Fachgesellschaften und individuellen Interessen ab.
Universitätsspitäler in Zürich, Basel, Bern, Lausanne und Genf bieten spezialisierte Sprechstunden und Boards an.
Doch dieses Wissen erreicht Hausärzte in der Breite nur unzureichend.
Initiativen wie ProRaris, SwissPedNet und der „Nationale Plan Seltene Krankheiten“ haben das Thema Weiterbildung aufgenommen – eine konsequente Umsetzung fehlt bisher.
Welche Inhalte Weiterbildung abdecken sollte
1. Erkennen von Warnsignalen
Unspezifische Symptomkombinationen – etwa häufige Infekte und Wachstumsstörungen – müssen als Red Flags erkannt werden.
Weiterbildung vermittelt Fallbeispiele und Szenarien, die Ärztinnen und Ärzten Sicherheit geben.
2. Genetische Diagnostik
Wann ein genetischer Test sinnvoll ist, wie Befunde interpretiert werden und welche ethischen Fragen entstehen – all das gehört in moderne Fortbildungen.
Auch die richtige Kommunikation mit Patientinnen und Angehörigen ist entscheidend.
3. Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Seltene Krankheiten erfordern Kooperation: Hausärzte, Fachärzte, Psychologen und Sozialdienste müssen Hand in Hand arbeiten.
Ärztinnen und Ärzte brauchen Wissen über Überweisungswege und Netzwerke.
4. Therapieoptionen
Orphan Drugs, Off-Label-Verordnungen und Studienzugänge gehören ins Fortbildungsrepertoire.
Auch rechtliche Grundlagen zur Kostenübernahme sind Teil des ärztlichen Wissens.
5. Kommunikation & Empathie
Viele Betroffene haben eine jahrelange „Odyssee“ hinter sich.
Ärztinnen und Ärzte müssen lernen, empathisch und transparent mit Unsicherheit umzugehen.
Kernelemente ärztlicher Weiterbildung
- Erkennen unspezifischer Symptome
- Grundlagen genetischer Diagnostik
- Kennnisse über Orphan Drugs & Off-Label
- Interdisziplinäre Zusammenarbeit
- Empathische Gesprächsführung
Vorteile regelmässiger Weiterbildung
Für Patientinnen und Patienten
- Kürzere Diagnosewege
- Zugang zu passenden Therapien
- Weniger Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen
- Verbesserte Lebensqualität
Für Ärztinnen und Ärzte
- Mehr Fachkompetenz auch in schwierigen Fällen
- Sicherheit im Praxisalltag
- Zugang zu Netzwerken und Studien
- Stärkere Arzt-Patient-Beziehung
Für das Gesundheitssystem
- Kostenersparnis durch weniger Fehldiagnosen
- Bessere Ressourcennutzung
- Langfristige Entlastung durch frühzeitige Behandlung
Praxisbeispiele
Fall 1: Ein Kind mit wiederkehrenden Infekten erhält erst nach Jahren die richtige Diagnose einer Immundefizienz.
Weiterbildung hätte die Hausärztin frühzeitig auf seltene Immunerkrankungen sensibilisiert.
Fall 2: Ein Patient mit Muskelschwäche wird lange psychosomatisch behandelt.
Erst in einem spezialisierten Zentrum wird eine seltene Stoffwechselkrankheit festgestellt.
Fall 3: Interdisziplinäre Boards wie in Zürich ermöglichen Diagnosen, die ohne Teamarbeit nicht möglich wären – etwa bei kombinierten Haut- und Nervensymptomen.
Zukunftsperspektiven
Digitale Lernplattformen könnten Fallbeispiele und Simulationen flächendeckend verfügbar machen.
Nationale Strategien sollten Weiterbildung verpflichtend verankern.
Internationale Kooperation mit europäischen Referenznetzwerken (ERN) eröffnet Zugang zu Wissen und Studien.
FAQ: Häufige Fragen
- Warum ist Weiterbildung bei seltenen Krankheiten so wichtig?
- Weil viele Ärztinnen und Ärzte diese Erkrankungen kaum im Studium kennenlernen. Ohne Weiterbildung bleiben sie unerkannt.
- Wer bietet Fortbildungen an?
- Universitätsspitäler, Fachgesellschaften, ProRaris, SwissPedNet und internationale Kongresse.
- Sind Fortbildungen Pflicht?
- Ja, allgemein. Aber seltene Krankheiten sind bisher kein Pflichtinhalt – hier besteht Nachholbedarf.
- Wie profitieren Patientinnen und Patienten?
- Sie erhalten schneller Diagnosen, passende Therapien und vermeiden jahrelange Fehldiagnosen.
- Welche Rolle spielt die Politik?
- Sie kann Weiterbildung verbindlich machen, nationale Strategien fördern und internationale Kooperationen erleichtern.
Fazit
Seltene Krankheiten sind einzeln selten, aber in der Gesamtheit häufig.
Weiterbildung ist entscheidend, um die „diagnostische Odyssee“ zu verkürzen und Patientinnen sowie Patienten eine bessere Versorgung zu ermöglichen.
Dr. med. Jens Westphal und sein Team setzen sich dafür ein, dass Ärztinnen und Ärzte nicht nur über seltene Krankheiten informiert sind,
sondern in der Praxis handlungsfähig bleiben – damit Betroffene rechtzeitig die richtige Diagnose und Therapie erhalten.